Grundsätze der telefonischen Beratung

Die telefonische Beratung steht im Zentrum der Arbeit der Frauenhelpline. Aber was bedeutet telefonische Beratung? Wo liegen die Besonderheiten, was sind die Schwierigkeiten, die Grenzen aber auch die Vorteile einer Beratung am Telefon? Mit welchen Grundhaltungen arbeiten die Mitarbeiterinnen und welche Voraussetzungen sind notwendig, um AnruferInnen optimal zu unterstützen? Darüber möchten wir im folgenden Kapitel ausführlicher berichten.

Telefonische Beratung (wie auch face-to-face Beratung) beruht nach unserer Auffassung auf persönlicher Kommunikation, in welcher ein Dialog im Sinne einer gemeinsamen Entschlüsselung der Situation angestrebt wird. Somit ist es Voraussetzung, dass die Klientin Beratung wünscht und sich auf die Interaktion einlässt, denn nur dann kann eine Beziehung zwischen Klientin und Beraterin aufgebaut werden, eine notwendige Bedingung für ein gutes und erfolgreiches Beratungsgespräch.

Die Beratung zielt grundsätzlich auf die Vermittlung neuer Einsichten und Einstellungen bei den Anruferinnen ab, die es ihnen ermöglichen, ihre Situation, ihr Problem aus einer neuen bzw. erweiterten Perspektive zu betrachten und Lösungswege zu finden. Die Beraterin lenkt diesen Prozess einerseits mit bestimmten Methoden, andererseits nimmt sie jedoch keinen Einfluss darauf, wann, wie und wofür sich die Klientin während oder nach der Beratung entscheidet. Die Beraterin geht von einem systemischen, lösungsorientierten Ansatz aus: Durch richtige Fragestellungen und unterstützende Antworten sollten die Hilfesuchenden selber in die Lage kommen, Lösungen und Wege aus ihrer konfliktbeladenen Situation zu finden.

Die Beratungsgespräche grenzen einerseits an Auskunft und Aufklärung und andererseits an die Therapie. Zu den Angeboten der Frauenhelpline gehören also die Auskunft im Sinne der Information auf eine Frage und die Aufklärung, bei der es sich um Wissensvermittlung handelt. Von der Therapie als einem längerfristig angelegten, verbindlichen Prozess der Behandlung von Störungen oder Leidenszuständen mit unterschiedlichen Methoden grenzt sich die telefonische Beratung bei der Frauenhelpline dagegen ab, d.h. eine Therapie am Telefon ist nicht möglich und unter den gegebenen Bedingungen nicht sinnvoll. Allerdings fließen durchaus theoretische Grundlagen und Methoden der Therapieformen in die Gespräche mit ein, wobei vor allem humanistische und systemische Ansätze von Bedeutung sind. Verbalisierung und aktives Zuhören bilden die Grundprinzipien der Beratung. Aufgrund des ausschließlich telefonischen Settings können nur verbale interaktive Methoden Anwendung finden.

Die Mitarbeiterinnen orientieren sich vor allem an feministischen und frauenspezifischen Prinzipien, die im Folgenden kurz beschrieben werden.

Ein wichtiges Prinzip ist die Parteilichkeit. Das bedeutet, ganz auf der Seite der bedrohten und misshandelten Frau zu stehen und sie bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche ernst zu nehmen, zu begleiten und zu unterstützen. Es gilt, Benachteiligungen bewusst zu machen und letztlich Machtunterschiede aufzuzeigen und abbauen zu helfen. Gewalt ist immer auch ein Ausdruck der Machtungleichheit zwischen Frauen und Männern. Parteiliche Beratung bedeutet auch, Frauen zu vermitteln, dass ihre Gewalterlebnisse in ähnlicher Form auch von zahlreichen anderen Frauen geteilt werden. Dies kann zur Minderung von Schuldgefühlen und zum Verstehen führen, dass Gewalt keine private Angelegenheit ist.

Das Prinzip der Ganzheitlichkeit umfasst eine mehrdimensionale Sicht- und Arbeitsweise, d.h. die Lebenswelt der Klientin wird ebenso einbezogen, wie die gesellschaftspolitische Situation. Für die Anruferin bedeutet das, eine ressourcenorientierte Stärkung und an der Lebenswelt ausgerichtete Möglichkeiten für den erfolgreichen Umgang mit Problemstellungen aufzuspüren.

Frauen beraten Frauen: Betroffenheit ist sowohl das Wissen der Beraterin um die strukturellen Bedingungen und weiblichen Lebenszusammenhänge als auch das eigene Erleben der frauenbenachteiligenden Verhältnisse. Das heißt nicht, die gleichen Lebenserfahrungen gemacht haben zu müssen, aber die Kenntnisse um die Inhalte und Folgen der Geschlechterdifferenz zu haben. Aus diesen Bedingungen ergibt sich das Prinzip „Frauen beraten Frauen“. Der Schritt, sich an eine frauenspezifische Beratungsstelle zu wenden, bedeutet schon, dass die betroffene Frau die Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen versucht. Das Ansprechen eines Problems kann gleichbedeutend sein mit der Beendigung der Isolation.

Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ unterstreicht die Eigenverantwortlichkeit der Frau. Anrufenden Frauen wird dabei geholfen, eigene Bedürfnisse und Interessen wahrzunehmen und ihre Zielvorstellungen und Bedürfnisse zu erarbeiten. Im Sinne des Empowerments geht es um den Wiederaufbau des Selbstvertrauens und der Selbstachtung, die es ermöglichen, Entscheidungen zu treffen und das Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Anonymität bedeutet, dass die anrufenden Frauen Namen und andere Daten nicht nennen müssen. Im Rahmen der Anonymität verpflichtet sich die Beraterin auch zur Verschwiegenheit über jegliche Gesprächsinhalte, was gleichzeitig dem Schutz der Betroffenen dient. Nur mit Zustimmung der Anruferin werden Daten und Informationen bei Interventionen weitergegeben.

Autonomie umfasst die Unabhängigkeit auf der Ebene der Institutionen wie auf der inhaltlichen Ebene. Die Frauenhelpline ist inhaltlich autonom, konfessionslos und parteiunabhängig und stellt ausschließlich das Interesse der Anruferin in den Mittelpunkt.


Wie bereits angedeutet, werden neben feministischen Prinzipien auch Methoden der klientenzentrierten Gesprächsführung eingesetzt: Hier wird die anrufende Frau oder das Mädchen mit ihren jeweiligen Gefühlen, Wünschen, Zielen und Wertvorstellungen in den Mittelpunkt des Gespräches gestellt und grundlegend in ihrer Sichtweise der Welt und der eigenen Lebenszusammenhänge ernst genommen. Diese Wertschätzung und Akzeptanz ist durch offene (verbale) Zuwendung gekennzeichnet und nicht an Bedingungen gebunden. Gleichzeitig treten die Wertvorstellungen der Beraterin in den Hintergrund, denn nur so kann sich die Beratene als „Maß ihrer Dinge“ verstehen und Selbstverantwortung übernehmen. Unter Vermeidung von Ratschlägen, Empfehlungen oder Bewertungen und auf der Grundlage einer vertrauensvollen Gesprächssituation soll die Hilfesuchende also in die Lage versetzt werden, angstfrei, aktiv und kreativ an eigenen Lösungsstrategien zu arbeiten.
Eine wesentliche Grundhaltung der Beraterin findet Ausdruck in der Empathie als einem Einfühlen in die Erlebens- und Verhaltensweisen der Hilfesuchenden. Das kann durch Verbalisierung des bisher Verstandenen geschehen. In diesem Zusammenhang erweist es sich in der telefonischen Beratung als hilfreich, komplexe Schilderungen zusammenzufassen und gegebenenfalls auf einen wesentlichen Aspekt zu reduzieren sowie auf Widersprüchlichkeiten hinzuweisen. Eine Zusammenfassung kann im Beratungsprozess einer Problemdefinition gleichkommen, aus der sich dann Ziele ableiten und formulieren lassen. Mit dem Prinzip Echtheit ist Offenheit und Ehrlichkeit in den verbalen Äußerungen verbunden, damit sollte sich ein Vorspielen von Sympathie oder ein rein professionelles, technisches Verhalten ausschließen.

zurück